Die Volatilität an den Zins- und Währungsmärkten dürfte steigen, der DAX ist nach seiner Aufstockung historisch teuer, und starkes China-Exposure kann zum Problem an der Börse werden.
Europäische Zentralbank: Zinserhöhungen in weiter Ferne?
Infolge der hohen Energiepreise gehen immer mehr Analysten davon aus, dass die Inflationsrate in der Eurozone 2021 und 2022 über der Zielmarke von zwei Prozent liegen dürfte. Die Zinsmärkte preisen nun mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine erste Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) um 0,1 Prozentpunkte für 2022 ein und bis Ende 2023 Zinsanhebungen um insgesamt 0,15 Prozentpunkte. Die EZB hat sich jedoch im Rahmen ihrer „Forward Guidance“ Bedingungen gesetzt, die zunächst erfüllt werden müssen, damit es zu Zinserhöhungen kommen kann. Dazu muss die Inflationsrate nicht nur aktuell um 2,0 Prozent herum liegen, sondern auch mittelfristig in einem Zeitraum von bis zu etwa drei Jahren weiterhin auf diesem Niveau erwartet werden. Kurz gesagt: Der Anstieg der Verbraucherpreise soll nachhaltig etwa zwei Prozent betragen. Falls die momentanen Inflationstreiber – Lieferkettenprobleme und haussierende Erdgaspreise – im Laufe des kommenden Jahres jedoch an Relevanz verlieren, könnte die Inflationsrate wieder unter die Zielmarke fallen. Die zweijährigen Inflationserwartungen liegen jedenfalls nur bei gut 1,8 Prozent. Anders als in anderen Währungsräumen müssten die Märkte dann ihre Erwartungen an Zinserhöhungen der EZB wieder auspreisen, weshalb die Kursschwankungen an den Zins- und Währungsmärkten in den kommenden Monaten zunehmen dürften.
DAX: Kennzahlen zeigen hohe Bewertung
Im historischen Vergleich war der DAX selten so teuer bewertet wie heute. Nach der Aufstockung auf 40 Titel rangieren das Kurs-Buchwert- und das Kurs-Gewinn-Verhältnis inzwischen im 97. beziehungsweise 92. Perzentil der vergangenen 15 Jahre, das heißt, sie lagen an nur drei beziehungsweise acht Prozent der Handelstage höher. Die Dividendenrendite lag nur an einem Prozent der Handelstage niedriger. Auch im Vergleich zur jeweiligen Bewertung des marktbreiten STOXX 600 wird der DAX derzeit recht teuer gehandelt. Vor diesem Hintergrund ist der Index im aktuellen Marktumfeld anziehender Zinsen, Sorgen über Lieferketten und abnehmendes Wachstum sowie hoher Rohstoffkosten sicherlich anfällig für einen Rücksetzer. Diesen könnten Anleger dann zum Einstieg nutzen. Für eine mittelfristige Kurserholung spricht, dass es am Anleihemarkt weiterhin kaum Alternativen zu Aktien gibt. Die sogenannte Aktienrisikoprämie, die sich aus der Differenz zwischen der zu erwartenden Gewinnrendite des DAX und der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ergibt, liegt bei 7,2 Prozentpunkten und damit etwa im Mittel der vergangenen 15 Jahre.
US-Unternehmen: die Last des Chinageschäfts
Seit Februar dieses Jahres befinden sich Chinas Aktienbörsen auf Talfahrt und haben beispielsweise gegen den breiten US-amerikanischen Markt im Schnitt mehr als 25 Prozentpunkte eingebüßt. Aber was in China passiert, bleibt nicht allein in China. Immerhin erzielten 2020 gut 50 der im S&P 500 gelisteten US-Unternehmen mindestens zehn Prozent ihres gesamten Jahresumsatzes über ihr Chinageschäft. Besonders stark betroffen sind US-amerikanische Technologie- und Rohstoffunternehmen. Pekings regulatorischer Druck auf rohstoffintensive Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel die Stahlindustrie, sowie die seit August rückläufige Bautätigkeit in China belasten insbesondere die Gewinnaussichten der Produzenten von Industrierohstoffen – möglicherweise auf Monate hinaus. Institutionelle Investoren haben sich bereits entsprechend positioniert und den Anteil von US-Unternehmen mit starkem Chinageschäft in ihren Portfolios untergewichtet.
Rücksetzer bei Europas Chemieaktien
Seit Mitte August hat der europäische Chemiesektor am Aktienmarkt gut fünf Prozent verloren, einzelne Aktien korrigierten sogar um 15 Prozent. Zurückzuführen ist die schwache Entwicklung auf eine Reihe von Faktoren. Erstens haben Produktionsstopps in der Automobilindustrie zu Kursverlusten bei Chemieunternehmen geführt, die Lacke, Beschichtungen und Materialien zur Reifenproduktion herstellen. Zweitens lastet der signifikante Preisanstieg von Rohstoffen wie Erdgas und Kohle auf den Margen von Chemieproduzenten mit geringer Marktmacht und ohne entsprechende Preisabsicherungen. Drittens sorgen sich Investoren um die künftige Nachfrage aus China – angesichts der Entwicklung am Immobilienmarkt, der Stromausfälle sowie der neuen Vorschriften der Zentralregierung, die Industrieunternehmen zur Dekarbonisierung verpflichten. Da das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis von durchschnittlich knapp 20 bereits hoch ist, kann die schwächere Entwicklung des Sektors meiner Meinung nach noch anhalten, bis sich bei diesen Faktoren eine Entspannung abzeichnet.
