Teile des Aktienmarkts in Europa und den USA sind heute günstiger als zum Jahresbeginn, die Konsumerholung stellt die Industrie vor Herausforderungen, und der Eisenerzpreis kratzt an der 200-Dollar-Marke
Aktiensektoren: nicht alle werden teurer
 
Am Aktienmarkt geht weiter das Bewertungsgespenst um. Anleger blicken sorgenvoll auf hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse und manch Investor zieht bereits Vergleiche zur DotCom-Blase. Dabei ist der Anstieg der „klassischen“ Bewertungen ein wiederkehrendes Phänomen, das auftritt, wenn der Markt nach einer Rezession die Gewinnerholung schneller einpreist, als die Analysten ihre Prognosen anpassen. Dass die Bewertungen gestiegen sind, ist also nicht zwingend ein Grund zur Sorge. Zumal die KGVs für die Gewinne 2021 in einigen Sektoren bereits wieder sinken: Europäische Konzerne aus den Bereichen Stahl und Bergbau (–26 Prozent), Energie (–22 Prozent) und Automobile (–6 Prozent) werden trotz teils hoher Kurszuwächse heute merklich günstiger gehandelt als zum Jahresbeginn, weil die Gewinnerwartungen noch stärker gestiegen sind. In den USA haben sich unter anderem Energie (–32 Prozent), Hardware und Banken (jeweils –12 Prozent) verbilligt. Ich erwarte, dass sich dieser Trend fortsetzen wird, und halte diese Sektoren deshalb für besonders interessant.
Lieferengpässe: Dienstleister weniger betroffen
 
Der sich abzeichnende Boom beim privaten Konsum nach der Lockerung von Corona-Beschränkungen könnte das Problem von Lieferengpässen in vielen Bereichen verschärfen. Die Lagerbestände der Händler befinden sich auf dem niedrigsten Niveau seit vielen Jahrzehnten, auch weil es während der Pandemie immer wieder zu einer Unterbrechung von Lieferketten kam. Denn Industrieunternehmen sind häufig auf bestimmte Zulieferer angewiesen und müssen bei Engpässen ihre Produktion drosseln. Das schmälert ihre Erträge, während sie die Kosten kurzfristig kaum signifikant senken können. Dagegen sind Dienstleister in der Regel weniger von Lieferengpässen betroffen, da die Lagerhaltung entweder kaum eine Rolle spielt oder ein Ausweichen auf andere Zulieferer leichter möglich ist. Dies bestärkt mich in meiner Einschätzung, dass sich Aktien konsumnaher Dienstleister zum Beispiel aus dem Medienbereich sowie dem Freizeit- und Reisesektor bei einer dynamischen Konsumerholung besser entwickeln könnten als Industrieaktien.
Rohstoffmärkte: akute Knappheit
 
Haussierende Rohstoffpreise deuten momentan auf potenzielle Inflationsrisiken hin. Ausreißer nach oben sind die Preise für Holz, die sich an den US-Terminmärkten seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt haben, und für Eisenerz, das so teuer gehandelt wird wie nie zuvor. Der Rohstoffindex von Bloomberg, der Metalle, Agrarrohstoffe und Öl beinhaltet, stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 50 Prozent, seit Jahresbeginn um fast 20 Prozent. Auch die Terminstrukturkurven weisen auf eine akute Knappheit an den Rohstoffmärkten hin. Seit 2007 lag der Preis für sofortige Lieferung für die im Index von Bloomberg enthaltenen Rohstoffe nicht mehr so deutlich über den Terminkursen zur Lieferung in einem Jahr wie derzeit; eine Struktur, die „Backwardation“ genannt wird. Besonders bei Öl, Erdgas und Kupfer ist dies der Fall. Kurzfristig erscheinen weitere Kursgewinne recht wahrscheinlich, mittelfristig könnten einigen Rohstoffen jedoch Korrekturphasen bevorstehen, was dann wiederum die Inflationssorgen mildern dürfte.
Eisenerzpreise auf Rekordniveau
 
Mit mehr als 199 US-Dollar je Tonne wird Eisenerz in Singapur so teuer gehandelt wie niemals zuvor. Dies überraschte viele Marktbeobachter, die mit fallenden Preisen gerechnet hatten, nachdem die größten chinesischen Stahlhersteller aus Umweltschutzgründen ihre Produktion zeitweilig unterbrechen mussten. Im April sanken jedoch die Exporte von Eisenerz aus den bedeutendsten Minen in Brasilien und Australien um sieben Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat und trafen auf eine gleichzeitig deutlich ansteigende Stahlproduktion außerhalb Chinas. Die World Steel Association erwartet für 2021 ein Wachstum der weltweiten Nachfrage nach Stahl um 5,8 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Die Produzenten von Eisenerz profitieren zudem davon, dass momentan in den USA die Stahlpreise dreimal so hoch sind wie vor einem Jahr, weshalb die Nachfrage nach dem Vorprodukt Eisenerz nicht unter dessen hohem Preisniveau leidet. Für das zweite Halbjahr erwarten viele Analysten dann ein deutlich höheres Angebot und damit fallende Eisenerzpreise. Im laufenden Quartal könnten die Eisenerzproduzenten aber möglicherweise noch aus dem Vollen schöpfen.