Heute Vormittag hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aktuelle Ergebnisse seiner monatlichen Konjunkturumfrage veröffentlicht. Im Oktober sind demnach die Konjunkturerwartungen der Finanzmarktexperten erneut gesunken und notieren nur noch bei 22,3 Saldenpunkten. Eine Trendwende bei diesem wichtigen Frühindikator für die kurzfristigen Konjunkturperspektiven in Deutschland ist damit erwartungsgemäß auch im Oktober ausgeblieben. Immerhin scheint sich aber der Abwärtstrend der letzten Monate allmählich zu verlangsamen.


•    Allerdings werden nicht nur die Erwartungen mit Blick auf die Entwicklung in sechs Monaten sondern inzwischen auch die aktuelle gesamtwirtschaftliche Situation deutlich verhaltener beurteilt. Die Lagekomponente sank von 31,9 auf 21,6 Saldenpunkte, dies stellt den ersten Rückgang seit Februar dar. Das eingetrübte Konjunkturbild, wie es schon die vor einer Woche gemeldeten sentix-Daten gezeichnet hatten, wird somit grundsätzlich auch durch die ZEW-Umfrage bestätigt. Für das später im Monat zur Veröffentlichung anstehende ifo-Geschäftsklima sind die Vorgaben negativ.

•    Neben den Materialengpässen, die sich im Sommer sogar weiter verschärft haben, ist für die deutsche Industrie infolge des Anstiegs der Energiepreise nun ein weiterer Belastungsfaktor hinzugetreten. Der massive Einbruch bei Industrieproduktion und Auftragseingängen im Berichtsmonat August und Meldungen zu temporären Produktionsunterbrechungen belegen, dass die Unternehmen inzwischen immer weniger Möglichkeiten besitzen, die Materialengpässe zu kompensieren. Die im Frühjahr bereits aufgetretene Schwäche der Industrie hat sich im Sommer weiter verfestigt, und es zeichnet sich ein wahrlich ungemütlicher Herbst ab, da die meist pandemiebedingten Störungen der Lieferketten noch einige Zeit anhalten werden.


•    Zudem sorgen sich immer mehr Kapitalmarktakteure hinsichtlich der zunehmenden Aufwärtsrisiken für die Inflation. Zwar dürften die Ursachen bei den meisten Faktoren isoliert betrachtet tatsächlich weitgehend vorübergehender Natur sein. Es besteht aber das Risiko, dass aus einer ganzen Kette an inflationssteigernden Einmaleffekten ein dauerhafterer Inflationsanstieg entsteht. Zumindest wird die EZB in nächster Zeit sehr genau auf mögliche Zweitrundeneffekte achten müssen. In der Vergangenheit folgte auf starke Energiepreissprünge häufig ein Anstieg auch bei den mittelfristigen Inflationserwartungen, was zu einer Verstetigung des Impulses führen könnte.


•    Im Dezember wird die EZB zwar erneut ihre Inflationsprojektion anheben müssen, zugleich nehmen aber die Abwärtsrisiken für die Konjunktur deutlich zu. Hierüber darf auch das wahrscheinlich erneut recht kräftige Wachstum im dritten Quartal nicht hinwegtäuschen, da dies fast ausnahmslos von den Öffnungen der Wirtschaft im Frühjahr gespeist wurde. Für das laufende Quartal droht hingegen eine empfindliche Abkühlung. In Deutschland mit seinem hohen Industrieanteil dürfte 2021 das Wachstum mit rund 2,5% nur halb so hoch ausfallen wie in der gesamten Eurozone. Für die Geldpolitik ergibt sich somit ein sehr herausforderndes gesamtwirtschaftliches Umfeld, das ein vorsichtiges Vorgehen beim Ausstieg aus dem PEPP im kommenden Jahr erwarten lässt.


•    Fazit: Die ZEW-Konjunkturumfrage belegt wachsende Konjunktursorgen in Deutschland.  Im Oktober sind sowohl die Konjunkturerwartungen als auch erstmals seit Februar die Einschätzung zur aktuellen Lage gesunken. Zu den ohnehin massiven Belastungen durch Materialengpässe gesellte sich in den vergangenen Wochen auch noch ein massiver Anstieg der Energiepreise. Der konjunkturelle Aufholprozess verzögert sich weiter, mit rund 2,5% wird das Wirtschaftswachstum in Deutschland im Jahr 2021 nur ungefähr halb so stark ausfallen wie im Euroraum. Die Mischung aus konjunkturellen Abwärtsrisiken und Aufwärtsrisiken für die Inflation bringt auch die Geldpolitik in eine zunehmend unkomfortable Lage.

14.45 Uhr MESZ

2021-10-12