Zwei von drei US-Senioren sind vollständig geimpft, EU-Gelder könnten die Konjunktur in Italien und Spanien nachhaltig anschieben, und Kolumbiens Finanzpolitik steht unter Zeitdruck.
Impfbereitschaft in den USA nimmt ab
Die USA haben bei den Coronavirus-Schutzimpfungen ein beeindruckendes Tempo an den Tag gelegt. Laut Gesundheitsbehörde CDC haben inzwischen mehr als 56 Prozent aller Erwachsenen eine erste Impfung erhalten. Leider nimmt die Anzahl an Erstimpfungen seit Mitte April jedoch sukzessive ab. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Infektionszahlen in den USA sinken und die Menschen weniger Dringlichkeit für eine Impfung verspüren. 15 bis 20 Prozent der US-Amerikaner geben zudem in Umfragen an, sich ohnehin nicht impfen lassen zu wollen. Wenngleich diese Entwicklung beklagenswert ist, eine Gefahr für den US-Konjunkturaufschwung stellt sie nicht dar. Denn knapp 70 Prozent der besonders schutzbedürftigen Bürger über 65 Jahre sind bereits vollständig geimpft. Dies macht eine Überbelastung des Gesundheitssystems und damit weitere Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen unwahrscheinlich. Einige Bundesstaaten haben bereits angekündigt, in den kommenden Monaten alle Beschränkungen aufzuheben. Zudem hängt die weitere Entwicklung der US-Wirtschaft zunehmend von der Konjunktur im Ausland ab. Während der Konsum bereits auf Vorkrisenniveau liegt, schwächelt der Export weiter. Mit Fortschreiten der Impfungen weltweit dürfte sich dies allerdings ändern.
Südeuropa profitiert vom Wiederaufbaufonds
Mit Italien und Spanien haben nun auch die zwei größten Nettoempfänger ihre Pläne zur Nutzung des EU-Wiederaufbaufonds vorgelegt. Italien möchte Zuschüsse und Kredite über 192 Milliarden Euro in Anspruch nehmen, im Falle Spaniens sind es 170 Milliarden. Den EU-Vorgaben entsprechend fallen die meisten Projekte in die Bereiche Digitalisierung und Klimawende. Neben der Förderung einer klimaschonenden Energieerzeugung legt Italien dabei den Schwerpunkt auf die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung – langwierige administrative Prozesse stellen dort ein Investitionshemmnis dar. Im Autoland Spanien steht dagegen die umweltfreundliche Mobilität im Fokus. Darüber hinaus ist eine Reform der Rentenversicherung geplant, um das System auf lange Sicht finanziell zu entlasten. Ich halte dank steigender Investitionen eine nicht nur kurzfristig stärkere Konjunkturdynamik für wahrscheinlich. Auch langfristig könnte das Wachstum ansteigen, in Italien um 0,8 und in Spanien um 0,4 Prozentpunkte pro Jahr. Damit würden beide Länder gegenüber anderen EU-Staaten aufholen, was sich an den Aktienmärkten positiv niederschlagen könnte.
Indien: Zentralbank stützt Wirtschaft mit Liquidität
Eine verheerende zweite Welle der Covid-19-Pandemie hat Indien seit Wochen fest im Griff, die ökonomischen Folgen der Lockdown-Maßnahmen werden zunehmend spürbar. Die Indische Zentralbank (RBI) kündigte daher gestern an, kurzfristige Liquiditätshilfen von umgerechnet 6,8 Milliarden US-Dollar für den Gesundheitsnotdienst bereitzustellen. Finanzierer der für die Bevölkerung so wichtigen Klein- und Kleinstkredite erhalten Refinanzierungshilfen von rund 1,4 Milliarden US-Dollar. Die Stärkung des Finanzsektors dürfte Indien die notwendige Zeit geben, um möglicherweise ab dem dritten Quartal von einer deutlichen Erholung zu profitieren und 2022, wie von der RBI prognostiziert, um real 10,5 Prozent zu wachsen. Das könnte im zweiten Halbjahr für eine Erholung der seit Mitte Februar rückläufigen Aktienkurse sorgen. Einen moderaten Anstieg der Anleiherenditen infolge der wirtschaftlichen Erholung würde ich in diesem Zusammenhang als positives Indiz werten.
Problematische Lage in Kolumbien
Zwar dürfte die kolumbianische Wirtschaft vom bevorstehenden Muttertag profitieren, denn kein Land außer den Niederlanden exportiert mehr Schnittblumen als Kolumbien mit einem Gegenwert von rund 1,5 Milliarden US-Dollar. Leider wird dies alleine nicht reichen, um die akuten wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Mitte April hatte die Regierung zur Finanzierung des stark anwachsenden Haushaltsdefizits eine Reform vorgestellt, die für die Mehrheit der Bevölkerung Steuererhöhungen zur Folge gehabt, aber das gute Kreditrating gesichert hätte. Nach massiven Protesten wurde dieser Vorschlag zurückgezogen. Der Finanzminister trat zurück und sein Nachfolger arbeitet an neuen Reformvorschlägen. Die Zeit drängt, denn Anleger bringen Investitionen in Kolumbien derzeit starkes Misstrauen entgegen. Der Aktienleitindex COLCAP hat seit Mitte Januar 17 Prozent verloren, die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen stieg von 4,78 Prozent zu Beginn des Jahres auf aktuell 7,00 Prozent und der Kolumbianische Peso verlor im gleichen Zeitraum knapp zehn Prozent. Anleger sollten demzufolge weiterhin vorsichtig sein.
